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Jenas Umgang mit der plötzlichen Aufmerksamkeit in den Medien

Von Daniel Hofmann und Jan-Henrik Wiebe




Für so einen Medienauflauf sind Jenas Presseräume nicht geschaffen.Foto: Daniel Hofmann

Wie ein großes Batman-Symbol am Abendhimmel erstrahlte am 2. Dezember ein riesiges Ausrufezeichen am Jentower. Dem hell erleuchteten Aufruf folgten 45.000 Menschen und versammelten sich zum „Rock gegen Rechts“ in Jena. Das Ausrufezeichen sollte unterstreichen, dass Jena eben kein braunes Terrornest ist, sondern eine „Bunte Republik Deutschland“ sein will. Zum Konzert in die Oberaue erschienen nicht nur Menschen aus Jena, sondern auch viele aus dem Umland. Sogar ein Sonderzug fuhr von Erfurt aus über Weimar und Apolda nach Jena. Das wollte sich niemand entgehen lassen, schließlich kamen Udo Lindenberg, Peter Maffay, Clueso, Silly und Julia Neigel in die Saalestadt.

Gegen diese Art des Protests regte sich jedoch Widerstand. „Zu teuer! Das Geld sollte man lieber in andere Projekte stecken“, „Die kommen doch eh nicht mit nach Dresden“ oder „Ein Konzert bringt überhaupt nichts, der Rassismus in der Gesellschaft bleibt“, lauteten Vorwürfe der Kritiker des Konzerts. Sie befürchteten, dass es dabei nur um das Image Jenas geht und nicht um die Sache selber: Den braunen Sumpf trockenzulegen.
Oberbürgermeister Albrecht Schröter sagte dem Akrützel: „So ein Konzert zieht Leute an, die normalerweise nicht zu Demos gehen, und das können wir nutzen.“ Auf der Bühne rief er deshalb alle Besucher dazu auf, nächstes Jahr nach Dresden zu fahren, um dort den Naziaufmarsch zu blockieren.
Die Redebeiträge zwischen den Auftritten der Künstler machten deutlich, dass der Alltagsrassismus stärker bekämpft werden müsse. Neben dem Aktionsnetzwerk aus Jena, der Aussteigerorganisation „Exit“, einer Opferberatungsstelle und verschiedenen Politikern hielt auch der Pfarrer Lothar König von der Jungen Gemeinde Stadtmitte eine Rede. Schon nach kurzer Zeit ertönten Buh-Rufe aus dem Publikum. In der Rede ließ er seinen Gefühlen freien Lauf, machte den Staat für die Morde verantwortlich und traf auch sonst nicht den richtigen Ton gegenüber den Zuhörern. Das passte nicht jedem Konzertbesucher, der an dem Abend eigentlich für mehr Toleranz demonstrierte. Im Internet wurde er danach als „spastischer Kommunistenpfarrer“ beschimpft.

Ein zweischneidiges Schwert

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung stellten Kritiker die Absichten der Veranstalter in Frage. So auch Timo Neumann von „Solid“, einer Jugendorganisation, die der Partei „Die Linke“ nahe steht: „Es ist doch eher ein Imageplus für die Stadt, als dass es etwas gegen rechts bringt.“ Außerdem sei es eine gute Plattform für Politiker wie den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel gewesen, sich zu profilieren. „Es war halt ein Rockkonzert mit großem Tamtam.“ Auch Christoph Ellinghaus, Mitglied des Aktionsnetzwerks gegen Rechtsextremismus, ist nicht vollständig von einer positiven Wirkung überzeugt: „Solche Konzerte dienen auch der Versicherung, dass man damit nichts zu tun hat. Es ist wie eine Illusion, die sich schnell wieder auflöst.“ Eine zu einseitige Betrachtung empfindet er aber als unangebracht, denn „als Symbol funktioniert es und ein Konzert gegen rechts ist besser als gar nichts dagegen zu machen.“ Gerade der Leuchtturmcharakter eines medialen Großereignisses dient Befürwortern als Begründung für die Durchführung. Christoph Matschie, Thüringens Bildungsminister, ist da keine Ausnahme: „Das Signal gegen rechte Gewalt mit diesem Konzert ist richtig. Jetzt ist es wichtig, aktiv weiterzumachen.“ Die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht sieht im Kampf gegen rechtes Gedankengut eine „Alltagsaufgabe, und jeder Alltag braucht Höhepunkte.“ Dass solche Höhepunkte von vielen als Spaßveranstaltung genutzt werden, ist auch Nico Przeliorz klar, einem Mitglied von Kokont, einer Anlaufstelle für Opfer von Diskriminierung und Gewalt: „Natürlich kommen manche nur zum Spaß, aber die wurden gezwungen, den Gesprächen auf der Bühne zuzuhören und mussten sich damit auseinandersetzen.“
Rund 320.000 Euro hat das Konzert gekostet. Ein Betrag, der bereits vorher durch Spenden und öffentliche Gelder der Stadt gesammelt wurde. Ellinghaus hätte das Geld lieber im Topf der Initiative „Dresden Nazifrei“ gesehen. Die Frage, ob so viel Geld ohne das Konzert zusammengekommen wäre, lässt er unbeantwortet im Raum stehen. Das Aktionsnetzwerk konnte während der Veranstaltung 2.000 Euro für eigene Zwecke sammeln – nicht viel bei rund 45.000 Besuchern. „Eigentlich sind die Zahlen nicht so schlecht. Es ist total schwierig Leute zu bewegen, Geld in eine Büchse zu geben“, widerspricht Carsten Müller, Leiter des Veranstaltungsmanagements von JenaKultur. Zusammen mit der Initiative „Mut gegen rechte Gewalt“ haben sie weitere 2.800 Euro gesammelt. 50 Prozent davon gehen an ein Projekt von „Mut gegen rechte Gewalt“, die andere Hälfte an ein lokales Projekt, das noch ausgewählt wird.

Prioritäten setzen

Neben mangelnder Spendenbereitschaft war vor allem die Platzierung der Infostände ein Kritikpunkt. Den Veranstaltern wurde das als fehlendes Engagement ausgelegt. Wenn es nach JenaKultur gegangen wäre, hätten die Stände direkt im Eingangsbereich stehen können. Warum es nicht so gekommen ist, erklärt Carsten Müller: „Wir mussten Prioritäten setzen. Sicherheit und Infrastruktur stehen da ganz oben.“ Feuerwehr- und Krankenwagenzufahrten sollten frei bleiben und eine ausreichende Stromversorgung musste gewährleistet werden. Die Sicherheitskräfte wollten die Stände noch weiter außerhalb platzieren. „Da gab es viel Streit zwischen der Sicherheit und JenaKultur. Wir waren schon froh, dass wir unseren Stand hatten“, erzählt Nico Przeliorz. Er hätte sich aber mehr Zeit zur Vorbereitung gewünscht, denn „dann wären wir auch besser eingebunden gewesen.“ Christoph Ellinghaus gibt jedoch zu bedenken, dass ein länger geplantes Konzert viel stärker nach einem Versuch aussehen würde, eine weiße Weste bewahren zu wollen.
Eine Diskussion über die Wirkung des Konzerts gab es nicht. Weder davor noch danach. Gegner konfrontierten die Veranstalter und Befürworter mit verständlichen Einwänden, aber waren häufig taub für Erklärungsversuche der anderen Seite. Obwohl beide für die selbe Sache kämpfen und einen gemeinsamen Weg finden sollten, wird unnötige Energie verschwendet, um die eigene Vorgehensweise durchzusetzen. Ellinghaus sieht in diesem sturen Vorgehen ein Problem: „Das ist doch keine Rechthaberdebatte, sondern eine politische Diskussion. Die Dynamik entsteht erst in einer konstruktiven Auseinandersetzung.“

Alles hat sein Gutes

Eine solche Debatte sollte dann die Podiumsdiskussion vom 5. Dezember werden. Der Stein des Anstoßes war ein Aspekte-Bericht im ZDF. Er beschäftigte sich mit der Angst von Migranten vor rechter Gewalt. Der Beitrag wurde in Jena mit dem Schriftsteller Steven Uhly gedreht und vermittelte einen sehr einseitigen Eindruck von der Stadt und ihren Menschen. Die ersten Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten und verbreiteten sich schnell über Internet und lokale Zeitungen. Vor allem auf dem Internetportal Jenapolis wurde breit über dieses Thema berichtet und eine Petition ins Leben gerufen, die rund 4.500 Unterzeichner fand. Uhly rechtfertigte sich später in einem offenen Brief in der Ostthüringer Zeitung.
Ob die Aufregung gerechtfertigt war und aus welchen Gründen die Beschwerden eingereicht wurden, war erst einmal kein Thema. Das änderte sich mit der Podiumsdiskussion. Obwohl der Chefredakteur der Aspekte-Redaktion angereist war, stand der Bericht nicht im Mittelpunkt. Es war eine Diskussion über Jena und wie in der Stadt mit Nazis umgegangen wird. Thomas Grund, Streetworker aus Winzerla, erzählte von Orten, die Migranten zu bestimmten Uhrzeiten lieber meiden. Aussagen, die momentan ein viel größeres Publikum erreichen.
Das Interesse an der Podiumsdiskussion wurde wohl unterschätzt, denn das Theaterhaus war sichtlich zu klein. Neben den 200 Zuhörern im Saal versammelten sich außen weitere 300 Menschen im Schneeregen. Mit dem selben Problem hat man sich auch im Internet herumgeschlagen. Der Livestream vom Campusradio war für 100 Hörer eingerichtet, die zusätzlich Fragen einsenden konnten. „Eine halbe Stunde vorher waren bereits 75 Leute angemeldet“, erzählt Tobias Krone, Chefredakteur des Campusradio. Die konnten dann den scherzhaften Vorschlägen von Katharina König lauschen, bereits „pränatal“ gegen rechtsextremes Gedankengut vorzugehen.
Neue Aspekte hat die Diskussion nicht hervorgebracht, aber das ist vielleicht nicht so wichtig: „Egal, wie unjournalistisch der Beitrag war, er hat dafür gesorgt, dass wir uns mit dem Rechtsradikalismus in Jena auseinandersetzen und allein das ist wichtig. Wir haben hier noch zu wenige Orte, an denen darüber geredet werden kann, und das müssen wir jetzt ändern“, fasst Ellinghaus zusammen.
Mediale Ereignisse wie Konzerte oder Fernsehbeiträge tragen scheinbar weniger dazu bei, Meinungen dauerhaft zu beeinflussen. Dennoch könnten sie eine Initialzündung für nötige Umdenkprozesse sein. „Ob das Konzert ein richtiges Zeichen gesetzt hat, muss jeder für sich wissen. Wir haben jetzt jedenfalls eine viel bessere Möglichkeit, die Menschen zu erreichen. Sie erleben im Moment alles viel direkter und wir können leichter auf sie zugehen“, erzählt Przeliorz. Projekte, wie das versteckte Theater, könnten von diesen Umständen profitieren. Dabei geht es darum, Menschen im Alltag mit unangenehmen Situationen zu konfrontieren und Zivilcourage einzufordern. Es werden Szenen – zum Beispiel in Straßenbahnen – gespielt, in der ein Migrant von Neonazis beleidigt und bedrängt wird. Den Menschen, die wegschauen und denen der Mut fehlt, etwas zu unternehmen, bekommen ein Infoblatt, wie sie am Besten reagieren können. „Wir müssen solche Momente der direkten Aufklärung anbieten, denn demokratische Kultur findet in unserem Alltag statt“, erklärt Ellinghaus.
Im Moment sucht er mit dem Aktionsnetzwerk nach Helfern für das Projekt „Noteingang“. Betreiber von Restaurants, Kneipen und anderen Geschäften sollen außen ein Noteingangsschild anbringen. Sie werden zu Fluchtpunkten, sollte sich jemand auf der Straße bedroht fühlen. „Die Angst des Opfers ist doch, dass niemand hinsieht oder hilft. Selbst wenn nichts passiert, dient dieses Schild als Zeichen, dass hier Menschen leben, die sich für dich einsetzen.“

Im Licht der Öffentlichkeit

Was haben die vergangenen zwei Wochen also gebracht, außer einer zertrampelten Wiese, wütenden Kommentaren über einen Autor und ein paar hitzigen Diskussionen auf WG-Partys? Auch wenn das Konzert von einigen als mediales Imageprogramm der Stadt verstanden wird, konnten kleinere Initiativen auf sich aufmerksam machen. Noch viel wichtiger: Zusammen mit dem Aspekte-Bericht und der Podiumsdiskussion wurde das Thema Rechtsextremismus in Jena in die Öffentlichkeit gezerrt. Eine Gelegenheit, die von Initiativen genutzt werden kann, um mehr Menschen für ihre Arbeit zu gewinnen. Denn am Ende geben größere Veranstaltungen nur den ersten Schubs in die Richtung des Wandels. Die wirkliche Herausforderung ist es, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen und das verlangt nach Menschen, die sich engagieren, informieren und niemals wegschauen.




Wie viele nur zum Spaß da waren, lässt sich anhand der Gesichtsausdrücke nicht erahnen.

Foto: Jan-Henrik Wiebe

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